Ende November besuchte Klassenlehrerin Dominique Sandoz Mey mit ihrer Klasse «START! Berufsbildung» die Berufsmesse Zürich. Dabei erhielten die Lernenden, die aus Afghanistan, Syrien, der Türkei und der Ukraine in die Schweiz geflüchtet sind, einen ersten Einblick in die beruflichen Möglichkeiten in ihrem neuen Zuhause.
«Eigentlich möchte ich Tierarzt werden», sagt Bohdan (21 J.) aus der Ukraine. «Doch für ein Studium in der Schweiz ist mein Deutsch nicht gut genug.» Deshalb überlegt er sich, zuerst eine Lehre als Dentalassistent zu absolvieren und später Zahnmedizin zu studieren. Mehmet (16 J.) aus der Türkei will Anwalt werden, seit dem Besuch der Berufsmesse kann er sich aber auch eine Ausbildung als Fachmann Gesundheit vorstellen.
«Die Berufsmesse öffnet den Horizont der Jugendlichen bei der Berufswahl; sie sehen, welche Wege in der Schweiz möglich sind, und können vieles ausprobieren», so Dominique Sandoz Mey, Kursleiterin an der EB Zürich. Im Programm «START! Berufsbildung» bereitet sie junge Geflüchtete und vorläufig Aufgenommene auf ihren Einstieg in die Schweizer Berufswelt vor. Auf dem Stundenplan stehen Deutsch, Mathematik, Informations- und Kommunikationstechnologie, aber auch «Arbeiten in der Schweiz». Das Fach beinhaltet Themen wie das Schweizer Bildungssystem, die Berufswahl und -orientierung sowie ein Bewerbungstraining.
Schritt für Schritt begleitet die Kursleiterin die Teilnehmenden bei der Berufswahl. «Dabei gehört es auch zu meinen Aufgaben, die Jugendlichen zu sensibilisieren, dass die Berufslehre in der Schweiz einen hohen Stellenwert hat.» Denn ausserhalb der Schweiz, Deutschland und Österreich kennen nur wenige Länder die duale Berufsbildung. Oft findet die Berufsbildung nur schulisch in Colleges oder Universitäten statt und nicht in einem Lehrbetrieb.
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«Mein Ziel ist es, dass die Kursteilnehmenden Neugier, Enthusiasmus und Freude entwickeln. An der Berufsmesse sehen sie, was alles möglich ist.»
Praktische Einblicke in über 250 Berufe
An der Berufsmesse in Zürich präsentierten rund 120 Berufsverbände, Schulen und Unternehmen ihre Grund- und Weiterbildungen. Yevhen (22 J.) und Yulian (21 J.) aus der Ukraine interessierten sich besonders für die Angebote im Bereich Medienproduktion und Informatik. Şara (22 J.), die ihre Ausbildung als Krankenschwester in der Türkei abbrechen musste, informierte sich über den Beruf Fachfrau Gesundheit und freute sich, dass sie an einer Puppe die Blutentnahme üben konnte. Rashid (27 J.), der in seiner Heimat Afghanistan Mechatronik studierte, hat sich zum Ziel gesetzt, in der Schweiz eine Lehrstelle als Automatiker oder Automobil-Fachmann zu finden.
«Die grösste Hürde ist die Sprache», sagt Dominique Sandoz Mey. Die meisten Lernenden im Kurs verfügen über ein Deutsch-Niveau A1 bis knapp A2, da sie noch nicht lange in der Schweiz sind. Für eine zweijährige berufliche Grundbildung EBA ist jedoch ein Niveau B1 erforderlich, für die drei- bis vierjährige Lehre mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis EFZ sogar ein B2. «Bis im Sommer ein B1 zu erreichen, ist sehr sportlich. Hinzu kommt, dass sich die Jugendlichen bereits jetzt für eine Lehrstelle bewerben müssen.» Ziel der Kursleiterin ist es deshalb, dass möglichst viele Teilnehmende ein Praktikum oder eine Integrationsvorlehre (INVOL) absolvieren können, für die ein Deutsch-Niveau A2 ausreicht.
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«Mich interessiert Informatik und Mediamatik – oder eine Lehre als Koch. An der Berufsmesse konnte ich mit vielen Leuten über meinen Berufswunsch sprechen und gleichzeitig Deutsch üben.»
Bei der INVOL erwerben die Lernenden während eineinhalb Tagen pro Woche in der Schule Kompetenzen in einem bestimmten Berufsfeld. Die restliche Zeit arbeiten sie in einem Betrieb und bereiten sich praxisorientiert auf eine Berufslehre vor. Ein alternatives Brückenangebot ist das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ). Dort verbessern die Jugendlichen ihre Deutschkenntnisse und schliessen allfällige Bildungslücken, um ihre Chancen bei der Lehrstellensuche im nächsten Sommer zu erhöhen.
Gemeinsam neue Perspektiven finden
Um eine geeignete Anschlusslösung zu finden, besuchte die Klasse eine Woche nach ihrem Ausflug an die Berufsmesse Laufbahnberater Stefan Schumacher vom Berufsinformationszentrum (biz) Urdorf. Er ist ein wichtiger Ansprechpartner für die Lernenden und begleitet sie bei ihren beruflichen Plänen. Auf Empfehlung der Klassenlehrperson prüft er, ob sich die Lernenden zum Beispiel für eine INVOL eignen und sucht dann gemeinsam mit ihnen einen Lehrbetrieb.
Für eine gelungene Integration in die Schweizer Berufswelt braucht es für Dominique Sandoz Mey besonders Mut. Gerade viele Jugendliche aus der Ukraine hatten zu Beginn noch die Hoffnung, schnell in ihr Heimatland zurückzukehren. «Die Jugendlichen müssen loslassen und sagen können ‘ich bleibe hier’ – das ist nicht immer einfach.» Vor allem, weil sie hier oft nur eine provisorische Bleibe haben und bei einer Gastfamilie oder in einem Flüchtlingsheim wohnen, wo es vielmals eng und laut ist. «An der EB Zürich möchten wir ihnen deshalb auch einen geschützten Lernort bieten – einen Ort, an dem sie auch einmal ausgelassen sein können – ein bisschen wie ein Zuhause.»