Schon öfter führte die EB Zürich Kurse nur für Gehörlose durch – doch wie ist es, wenn Hörende und Gehörlose aufeinandertreffen und einen Kurs gemeinsam absolvieren? Welche Herausforderungen stellen sich dabei für die Kursleitenden und wie können die besonderen Bedürfnisse der Gehörlosen abgeholt werden?
Dass die EB Zürich Kurse für Gehörlose anbietet, ist nichts Neues. Doch dass ein Kurs mit teils hörenden und teils gehörlosen Teilnehmenden eine Herausforderung werden würde, dessen waren sich die beiden Kursleitenden Sophie Scheurer und Simon Bachmann bewusst. Für den SVEB-Kurs mit drei Gehörlosen und 14 Hörenden wurden sie von Lilly Kahler begleitet; sie selbst spricht Gebärdensprache und bringt viel Erfahrung mit Kursen für Gehörlose mit.
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«Ich fand es schön, wie viel Raum ihr dem Thema gegeben habt, ohne vom eigentlichen Kursinhalt abzulenken.»
Zur Vorbereitung tauschten sich die Kursleitenden vor Kursbeginn online mit den gehörlosen Teilnehmenden aus. Ein wichtiger Schritt, wie Scheurer und Bachmann im Interview sagen. So konnten sie die Erwartungen und Bedürfnisse der Gehörlosen abholen und sich optimal auf den Kurs einstellen. Die anderen Kursteilnehmenden wurden vorgängig schriftlich über die Teilnahme von drei Gehörlosen und jeweils zwei Dolmetscherinnen informiert.
«Ich fand es schön, wie viel Raum ihr dem Thema gegeben habt, ohne vom eigentlichen Kursinhalt abzulenken», meldet eine hörende Teilnehmerin am letzten Tag zurück. Das freut Scheurer und Bachmann ungemein – denn vor jedem Kurstag haben sie miteinander besprochen, wie sie die Thematik angehen. Für beide war es klar ein anstrengender Kurs, aber auch eine sehr wertvolle Erfahrung. «Wenn wir jedoch nicht ein so gut eingespieltes Team wären, hätte es sicher nicht so gut geklappt», so Scheurer.
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«Wir an der EB Zürich haben einen hohen Qualitätsanspruch an unsere Kurse. Diesen wollten wir auf alle Fälle beibehalten, ohne die Gehörlosen zu vernachlässigen.»
Toleranz und Verständnis für andere
«Es war eine ruhige, liebe und tolle Klasse», übersetzt die Dolmetscherin für eine der Gehörlosen. Das ist auch den Kursleitenden aufgefallen. Ohne eine so tolerante und verständnisvolle Gruppe wäre eine Umsetzung auf diese Art sicher schwieriger gewesen. «Wir an der EB Zürich haben einen hohen Qualitätsanspruch an unsere Kurse. Diesen wollten wir auf alle Fälle beibehalten, ohne die Gehörlosen zu vernachlässigen», meint Scheurer. Offenbar ist es ihnen gut gelungen, denn die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren weithin positiv.
Am ersten Kurstag war die Klasse von den zwei Dolmetscherinnen noch etwas abgelenkt, doch das pendelte sich während des Kurses gut ein. Es gab für die ganze Gruppe einige «Aha-Momente»; so ist zum Beispiel die Raumgestaltung für Gehörlose sehr wichtig. Der Sichtkontakt zu den Dolmetscherinnen muss zu jeder Zeit gegeben sein. «Normalerweise bewege ich mich viel. Ich musste darauf achten, dass ich nicht zu viel Raum einnehme», so Kursleiter Bachmann zum Thema. Viele waren beeindruckt davon, wie konzentriert die Gehörlosen dabei sein mussten, um keine Übersetzung zu verpassen. Überrascht waren sie darüber, dass es auch in der Gebärdensprache verschiedene Dialekte gibt und dass man mit Gehörlosen in einem Hochdeutsch mit möglichst wenig Fremdwörtern oder Redewendungen kommunizieren sollte – letztere können nämlich nur schwer übersetzt werden.
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«Für den Kompetenznachweis bereiten die Hörenden eine Unterrichtssequenz unter sich vor und die Gehörlosen eine Sequenz für Gehörlose»
Umgang mit Unsicherheiten
Zu Beginn hatten Scheurer und Bachmann etwas Bedenken, dass die Gehörlosen im Kurs vielleicht doch nicht gleich profitieren würden wie die Hörenden. Sie merkten schnell, dass auch die schriftlichen Dossiers zum Teil eine Herausforderung darstellten. Doch die Gehörlosen nahmen neben dem Kurs noch eine Einzelbegleitung in Anspruch und haben den Kurs schliesslich gemeistert. «Der Kompetenznachweis wurde auf die zukünftige Unterrichtspraxis der Gehörlosen angepasst», so Bachmann. «Die Hörenden bereiten eine Unterrichtssequenz unter sich vor und die Gehörlosen eine Sequenz für Gehörlose». So können sich beide Gruppen optimal auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren.
Besonders schön fanden die Teilnehmenden, dass sich die Gehörlosen auch an informellen Gesprächen beteiligten und mit ihnen zusammen Mittag assen. So konnten sich alle für das Thema Gehörlosigkeit sensibilisieren. Ausserdem hatten sie am dritten Kurstag Besuch von Lilly Kahler. Die Kursteilnehmenden erhielten dadurch Gelegenheit, Fragen zum Thema Gehörlosigkeit zu stellen und Unsicherheiten zu äussern. «Man muss ein echtes Interesse an der anderen Kultur zeigen, sonst funktioniert es nicht», so ein Kursteilnehmer. Die Gruppe war begeistert, wie Scheurer und Bachmann mit dem Thema umgingen. «Ich möchte versuchen, mit heiklen Themen in meinen Kursen auch so souverän umzugehen – zum Beispiel mit dem Ukraine-Krieg», meldet eine hörende Kursteilnehmerin. Einem Thema genug Platz geben, ohne vom eigentlichen abzulenken – das war eine grosse Erkenntnis für alle.