Eine Lehrstelle bzw. einen Platz im Schweizer Arbeitsmarkt zu finden, ist für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene mit erheblichen Hürden verbunden. Schulische Programme wie START! Berufsbildung oder Sprachzertifikate wie fide unterstützen sie, sich beruflich zu integrieren und sich Jahre nach ihrer Flucht in die Schweiz als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Die EB Zürich führt fide-Spracheinschätzungen auch für andere Schulen und neu auch für andere Kantone durch.
Die fide-Spracheinschätzung als Türöffner
Vor fünf Jahren und drei Monaten ist Maryam Hakimi aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. Schon im Aufnahmelager in Schwerzenbach fing sie an, Deutsch zu lernen. Sie wusste, wie wichtig gute Sprachkenntnisse in diesem für sie fremden Land sein würden. Doch Deutsch ist für sie viel schwieriger als Englisch, erzählt sie im Gespräch. Seit August 2020 besucht sie den Kurs «START! Berufsbildung», der sie und andere Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene in das Schweizer Ausbildungssystem eingliedern soll. Und heute ist einer ihrer wichtigsten Tage an der EB Zürich: Sie lässt mit dem fide-Sprachnachweis ihre Deutschkenntnisse einschätzen. Dieser Nachweis ist zwar nicht Bestandteil des Kurses, doch ihre Kursleiterin wies sie auf diese Möglichkeit hin. Frau Hakimi weiss, dass ihr ein offizieller Nachweis ihrer Deutschkenntnisse bei der Lehrstellensuche hilft und ein grosser Vorteil ist. Frau Hakimi ist nervös, denn sie hat schon lange keine Prüfungen mehr absolviert. Sie weiss, dass ihre berufliche Zukunft von dem Ergebnis abhängen kann.
Alles andere, nur keine ‘klassische’ Prüfung
Die Räumlichkeiten für die fide-Einschätzung sollen nicht an eine typische Prüfungssituation erinnern. Das weiss die langjähre DAZ-Lehrerin natürlich – sie musste sich als fide-Prüferin dafür qualifizieren – und arrangiert daher die Prüfung als eine Art Gespräch. Blumen und Getränke stehen auf dem Tisch, darauf verstreut liegen verschiedene Blätter mit Bildern, die sie für den mündlichen und schriftlichen Teil der Spracheinschätzung verwenden wird. Letizia Craparo Devenn weiss auch, dass die ersten Sätze der zur Spracheinschätzung kommenden Personen entscheidend sind. Schnell erkennt sie, wer eher intro- und wer eher extrovertiert ist. Einige ihrer Vorsätze lauten; sich zurücknehmen, warten, die Personen reden lassen und nicht zu früh eingreifen.

Wegen ihrer italienischen Wurzeln und ihrem Temperament ist das nicht immer einfach für sie. Ihrer Meinung nach sind die Fragen bei der Einschätzung für Lernungewohnte teils «recht happig». Zeitlich stehen sie v.a. beim schriftlichen Teil unter Druck. Das bestätigt auch Frau Hakimi. Für sie war besonders der schriftliche Teil schwierig. Sie musste verschiedene Texte schreiben. So z.B. ein E-Mail an das Einwohneramt und eine Antwort auf eine Wohnungskündigung. Die Themen orientieren sich dabei an Alltagssituationen der Flüchtlinge und sind äusserst handlungsorientiert. Das erleichtert es Frau Hakimi, die schriftlichen und mündlichen Fragen mit einem guten Gefühl zu beantworten.
Mit fide die Integration fördern
fide – es steht für Französisch, Italienisch, Deutsch – fördert schweizweit die sprachliche Integration von Migrantinnen und Migranten und bietet diesen die Möglichkeit, ihre Sprachkompetenzen nachzuweisen. Die didaktischen Inhalte des Programms orientieren sich an alltäglichen Situationen und Bedürfnissen rund um Familie, Wohnen, Einkaufen oder Arztbesuch. Zu diesen Themen stellen fide-Lehrpersonen und Prüfungsexpertinnen und -experten umfangreiche Materialien zur Verfügung, anhand derer sie bei Migrantinnen und Migranten Sprachkenntnisse der Niveaus A1 bis B1 einschätzen können. Anschliessend erhalten diese einen Sprachenpass, der ihnen den Lernstand ihrer schriftlichen und mündlichen Deutschkenntnisse bescheinigt. Wichtig dabei ist, dass Kandidaten und Kandidatinnen beim Nachweis nicht durchfallen können, sondern sie erhalten das für sie entsprechende Niveau bescheinigt. Die Einschätzung beginnt mit A2 und je nach Verlauf wird auf B1 oder A1 gewechselt. Neu gibt es auch den Test fide-edu, der sich an junge Erwachsene in einem Bildungsangebot wendet. Die Themen «Handlungsszenarien» sind auf diese Zielgruppe ausgerichtet und orientieren sich an deren Alltagssituationen.

EB Zürich im Auftrag anderer Schulen und Kantone
Um fide-Prüfungen durchführen zu können, musste sich die EB Zürich zuerst zertifizieren und die zukünftigen Prüfer/innen mussten sich ihre neuen Kompetenzen nachweisen lassen. «Der Aufbau des Prüfungszentrums in Zeiten von Corona war, wie alles in diesen Zeiten, eine besondere Herausforderung», erzählt Nora Kindler, die fide-Verantwortliche der EB Zürich. Dabei ist für sie der progressive Aufbau des Tests – demnächst bis B2 – sowie der Bezug zu Alltagssituationen «ein wegweisender Ansatz, vor allem in der von Diglossie geprägten Deutschschweiz», d.h. dem Nebeneinander von Dialekt und Schriftdeutsch.
Der fide-Sprachnachweis ist fixer Bestandteil der Integrationsvorlehre. Für Absolventinnen und Absolventen ist der Nachweis der Sprachkompetenzen unabdingbar für die Arbeits- und Niederlassungsbewilligung. Neu werden 2021 auch Teilnehmende aus dem Kanton Zug die Dienstleistung der EB Zürich in Anspruch nehmen. Der Aufbau eigener kantonalen Fachstellen ist kostenintensiv und erfordert nicht nur didaktische Kompetenzen. Da ist es schneller und effizienter, überkantonale Kooperationen einzugehen.
Mit B1 auf dem Weg zur Kinderbetreuerin
Nach eineinhalb Stunden ist die Prüfung für Frau Hakimi zu Ende – sie erreicht im mündlichen und schriftlichen Teil jeweils das Niveau B1. Ein tolles Ergebnis, und sie freut sich darüber. Damit kommt sie ihrem Berufswunsch ein ganzes Stück näher. «Ich liebe Kinder und kann gut mit ihnen umgehen», erzählt sie. Daher ist ihr grosser Wunsch, Kinderbetreuerin zu werden. Für diesen Beruf sind gute Deutschkenntnisse wichtig und in einer Bewerbung sieht das Niveau B1 sehr gut aus.
Zuerst aber wird sie ab April ein weiteres Quartal «START! Berufsbildung» besuchen und ihre Deutsch-, Mathematik- und PC-Kenntnisse verbessern. Daneben wird sie weiterhin Stellen in der Kinderbetreuung suchen und sich bewerben. Unterstützen wird sie dabei ein Coach der Asyl Organisation Zürich (AOZ) sowie die Laufbahnberatung. Kursteilnehmende von «START! Berufsbildung» können diese während ihrer Zeit an der EB Zürich kostenlos in Anspruch nehmen und sich bei Bewerbungen helfen lassen. Einmal die Woche ist Stefan Schuhmacher vom Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) an der EB Zürich und berät Frau Hakimi und ihre Kolleginnen und Kollegen.
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