Der syrische Jugendliche Seif Arsalan hat ein Buch über seine Flucht nach Deutschland geschrieben. Bei einem Online-Meeting mit anderen Geflüchteten, die an der EB Zürich den Kurs «START! Berufsbildung» besuchen, berichtet er von seinen Erfahrungen.
Eine Woche vor dem virtuellen Besuch von Seif Arsalan überlegten sich die Kursteilnehmer/innen Fragen an ihn. Teils bezogen sich diese auf das von ihnen gelesenen Buch «Aus Syrien geflüchtet», teils waren es persönliche Fragen zu Sport oder zur Rückkehr in seine Heimat. Und dann war Seif via Zoom im Kurs zugeschaltet. Die Jugendlichen sassen vor der Beamerwand im Halbrund, so dass sie ihn gut sehen konnten. Nofa, eine Kursteilnehmerin aus Syrien, stand auf und begrüsste ihren Landsmann Seif in ihrer Muttersprache. Er freute sich darüber und grüsste freundlich zuerst auf Syrisch, dann auf Deutsch zurück. Und nun begann Seif zu erzählen:
«Meine Flucht dauerte insgesamt zwei Jahre. Über die Türkei und Griechenland gelangte ich nach Süddeutschland in die Nähe von Stuttgart. Unterwegs erhielt ich von Hilfsorganisationen immer wieder zu essen – Thunfisch, Brot, Käse oder Früchte – und Wasser zu trinken.
Ein Jahr lang lernte ich sehr intensiv Deutsch, und ich lerne immer noch Begriffe oder Sprichwörter – denn man lernt nie aus! Meiner Mutter hingegen, die mit mir nach Stuttgart geflohen ist, fällt Deutsch immer noch schwer. Sie musste zuerst das deutsche Alphabet lernen, weil sie nur Arabisch lesen und schreiben konnte. Vor allem für ältere Menschen ist es schwierig, Deutsch zu lernen, wenn sie vorher keine andere Sprache gesprochen haben wie meine Mutter.
Unterschiede zwischen Syrien und meiner neuen Heimat
In Deutschland gefallen mir die Flüsse und die Wälder, wo ich gerne spazieren gehe. Ich fahre aber auch gerne Fahrrad oder gehe bouldern. Es gibt grosse Unterschiede zwischen meiner syrischen Heimat und Deutschland. Hier sind die Verkehrsmittel sehr pünktlich, das fasziniert mich. In Syrien kommt ein Bus vielleicht jetzt oder später – oder überhaupt nicht.
Die Schulbildung bis zur Matura – in Deutschland genannt 'Abi' – ist in Syrien genauso schwierig wie in Deutschland. Auch die Uni ist vergleichbar. Ein grosser Unterschied besteht bei der Ausbildung: Wie in der Schweiz macht man in Deutschland die Lehre in einem Betrieb und geht gleichzeitig zur Schule. In Syrien hingegen lernt man einen Beruf ein paar Jahre lang in einem Betrieb, ohne eine Berufsschule zu besuchen; eine solche gibt es nicht. Ich habe nach dem Abi zuerst Mechatroniker gelernt, danach aber begonnen, Medizin zu studieren.
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«In Syrien kann man nicht genau planen und sagen: Ich komme um 16 Uhr; du sagst, du kommst am Nachmittag.»
Auch kulturell stelle ich grosse Unterschiede fest: In Syrien bestehen schon allein zwischen (Haupt-) Stadt und Land, Norden oder Süden Unterschiede – DIE Kultur existiert so nicht. Sie unterscheidet sich zum Beispiel beim Essen, bei der Gastfreundschaft oder den Kleidervorschriften. Als Syrer kann ich so das Beste aus beiden Kulturen, der syrischen und der deutschen, vereinen.
Das Buch
Im Buch «Aus Syrien geflüchtet. Ein autobiografischer Jugendroman» habt ihr sicherlich auch das Kapitel über meinen Freund Hischam gelesen, mit dem ich auf der Flucht die ganze Zeit zusammen war. Er lebt jetzt in Schweden, leider habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Wir trafen uns zuletzt auf Malta und hatten den Eindruck, dass wir nicht mehr zusammenpassen, weil wir uns zu unterschiedlich entwickelt hatten. Daher beschlossen wir, unsere Freundschaft ruhen zu lassen.
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«Die unterschiedlichen Sprachen und Länder haben Einfluss auf unseren Charakter.»
Wahrscheinlich beschäftigt ihr euch auch mit der Frage, in euer Land zurückzukehren. Ich würde gerne nach drei Jahren meine Familie, meine Schwestern, Onkel und Tanten wieder sehen, aber ich kann derzeit nicht zurück, weil sie mich festnehmen würden (mein Bruder hatte Bekanntschaften, die der Regierung nicht passten und ist deshalb geflüchtet). Zum Glück gibt es WhatsApp, so sind wir oft in Kontakt und reden miteinander.
Eine Frage von euch betrifft mein Buch. Wie es dazu kam, habt ihr sicherlich in Kapitel 1 gelesen. (siehe hierzu den Beitrag, wie es zum 'Besuch' von Seif Arsalan kam) Viele fragen mich, was mich das Buch gekostet hat und wie viel ich damit verdiene. Vom Verlag, der mein Buch herausgibt, erhalte ich ein Honorar. Mittlerweile hab ich über 10‘000 Bücher verkauft und demnächst kommt die dritte Auflage heraus. Reich wird man davon allerdings nicht. Ich plane ein neues Buch, denn seit meiner Flucht ist viel passiert in meinem Leben und ich habe viel zu erzählen.
Jetzt habe ich viel über mich geredet und ich würde gerne etwas von euch erfahren. Wie seid ihr darauf gekommen, das Buch zu lesen? Welches Kapitel hat euch am besten gefallen?»
(Bei diesen Fragen muss Kursleiterin Gabriela Sperto-Koch den Teilnehmenden sprachlich zur Seite stehen, weil sie noch nicht so gut Deutsch sprechen wie Seif. Das Buch, so Sperto-Koch, habe ihr ein Kollege der EB Zürich empfohlen. Am emotionalsten war für alle das letzte Kapitel, in dem sich Seif mit seinem Vater versöhnt, gleichzeitig aber traurig auf seine Kindheit zurückblickt, weil er zu wenig Kontakt mit ihm hatte. Auch die Flucht hat die Kursteilnehmenden sehr berührt, wohl wegen ihrer eigenen Erfahrungen, die denen von Seifs Reise sehr ähnlich sind. Zudem bot das Thema Familie – zwei Frauen zu heiraten, ist in der Schweiz nicht möglich – eine gute Gelegenheit, um über die unterschiedlichen Kulturen zu sprechen.)
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«Macht euch Gedanken über die Motivation, eure Ziele, eure Träume und Wünsche – ihr könnt alles schaffen!»
Ratschläge
Am Ende meines Besuchs möchte ich noch die Frage nach einer Empfehlung für euch beantworten. Ihr seid ja noch nicht so lange in der Schweiz wie ich in Deutschland. Macht euch Gedanken über die Motivation, warum ihr das macht, was ihr gerade macht! Was möchtet ihr erreichen, wo möchtet ihr sein? Wenn ihr euch dieses Bild vor Augen hält, dann erreicht ihr eure Ziele. Das ist ganz wichtig: Was möchtet ihr erreichen, wenn ihr Deutsch lernt? Wenn ihr das aufschreibt und es jeden Tag auf dem Schreibtisch vor euch lesen könnt, dann erreicht ihr euer Ziel viel, viel schneller.»
Ein Kursteilnehmer, Manzor, bedankt sich im Namen der ganzen Klasse bei Seif: «Es war gut, dass wir dich kennengelernt und mit dir gesprochen haben. Machs gut, viel Glück und alles Gute, auch für dein weiteres Buch. Und vielen Dank für deine Zeit!»