Wie ist es, wenn die eigene Flucht im Kurs zum Thema wird? Teilnehmende von «START! Berufsbildung» probierten es mit Hilfe des Romans eines syrischen Flüchtlings aus. Das Ergebnis war so positiv, dass Autor Seif Arsalan via Zoom 'in den Kurs kommen' und von seinen Erfahrungen berichten wird.
Ein Kollege an der EB Zürich brachte Kursleiterin Gabriela Sperto-Koch auf die Idee, das Buch von Seif Arsalan in ihrem Kurs «START! Berufsbildung» zu lesen. Der junge Syrier war 2015 zusammen mit seiner Mutter über die Türkei nach Süddeutschland geflohen und schrieb darüber einen Jugendroman. In vielen Schulen in Deutschland wird dieser heute als Lehrmitteil eingesetzt, ergänzt mit audiovisuellen Materialien.
Bedenken hatte Sperto-Koch keine, höchstens wegen des etwas zu hohen Sprachniveaus des Buches. Ansonsten hielt sie es für sehr geeignet, da die Kursteilnehmer sehr ähnliche Erfahrungen auf der Flucht gemacht hatten wie der Autor. Im April 2023 begannen sie, Kapitel 1 zu lesen. Darin schildert Seif, warum er das Buch schreiben wollte: Ein Jahr nach seiner Ankunft in Deutschland empfahl ihm seine Lehrerin, einen Roman auf Deutsch zu lesen. Dabei stiess er auf einen jungen Autor, dem eine Jugendbuchautorin beim Schreiben geholfen hatte. Das Buch über eine schwierige Kindheit berührte ihn sehr. Seif überlegte sich, ob auch er ein Buch schreiben sollte – immerhin hatte er in seinem kurzen Leben schon einiges erlebt! Gesagt, getan; er kontaktiere die Jugendbuchautorin. Sie sagte zu und gemeinsam schrieben sie das Buch «Aus Syrien geflüchtet».
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«Ich war überrascht, dass die Kursteilnehmer teilweise sehr offen über ihre eigene Reise sprachen und sich im Roman wiedersahen.»
Bei der Lektüre der einzelnen Kapitel über Seifs Familie in Syrien, die Flucht und die dabei gemachten Erfahrungen erinnerten sich die Kursteilnehmer/innen an viele Details, die sie während ihre eigenen Reise nach Mitteleuropa gemacht hatten wie zum Beispiel die gewählte Fluchtroute, der bezahlte Preis, die Anzahl Menschen im Boot oder das Essen.
Trotz der vielen Parallelen und Erinnerungen an diese Zeit wollten alle in der Klasse das Buch weiterlesen, es bot sogar Anlass, zusätzliche Themen in Form von Rollenspielen in den Unterricht zu integrieren. So sprachen sie über ihre eigenen Familien, das Heiraten oder die Beziehung zu ihren Eltern. Vor allem das Thema Vater, ein wichtiges Kapitel bei Seif (als ‚Nachzügler‘ fühlte er sich von seinem Vater nicht willkommen und akzeptiert, denn dieser hatte in der Zwischenzeit eine zweite Frau geheiratet und mit ihr Kinder bekommen), erinnerte einige Teilnehmer an ihre eigene Kindheit – ein sehr emotionales und teils trauriges Thema …
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«Niemand sagte, dass er nicht mehr in den Kurs kommen oder nicht mehr weiterlesen wollte, weil das etwas Negatives bei ihnen auslösen würde.»
Nach ein paar Woche schlug Gabriela der Gruppe vor, den Autor online, via Zoom, in ihren Kurs einzuladen und über sein Buch zu sprechen. Alle waren sofort begeistert und neugierig, mit Seif direkt über die gemeinsamen, aber auch unterschiedlichen Erfahrungen auf der Reise und bei der Ankunft im Gastland zu sprechen. Seif sagte zu.
Vorbereitung auf den virtuellen Besuch
Eine Woche vor Seifs 'Kursbesuch' überlegten sich die Teilnehmer/innen, was sie von ihm wissen wollten. Sie bereiteten viele Fragen für ihn vor: zu seiner Familie, seiner Flucht oder den kulturellen Unterschieden zwischen Syrien und Deutschland. Sie wollten ihm aber auch ein paar Fragen stellen, die über das Buch hinaus gingen, zum Beispiel ob er Sport treibt, ob er heiraten will oder ob er darüber nachdenkt, in seine Heimat zurückzukehren. Mit Karten bildeten sie auf einer Pinwand seinen Fluchtweg von Damaskus über die Türkei nach Griechenland und weiter nach Deutschland ab. Jetzt sind sie auf seinen 'Besuch' vorbereitet, jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass die Technik ihnen keine Streiche spielt und sie eine gute Zoom-Verbindung zu Seif nach Deutschland haben werden ...
Der Beitrag über den virtuellen Besuch Seif Arsalans in der Klasse wird in den nächsten Tagen im Bildungsblog publiziert.