Am diesjährigen Weltalphabetisierungstag machten verschiedene Aktionen auf die Problematik mangelnder Grundkompetenzen aufmerksam. In Zürich führten die Lernstube der Caritas und die EB Zürich beim Quartier-Höck am Lindenplatz in Altstetten eine Standaktion durch – mit dabei war auch «Botschafter» René.
Allein im Kanton Zürich seien laut Schätzungen 140'000 Erwachsene von mangelnden Grundkompetenzen betroffen, weiss Mirjam Wenger. Gründe können belastende familiäre Umstände in der Kindheit, Legasthenie bzw. Dyskalkulie oder negative Schulerfahrungen wie etwa Mobbing sein. Es gehe aber auch ganz grundsätzlich Gelerntes allmählich verloren, wenn es nicht geübt werde.
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«Die Ursachen für mangelnde Grundkompetenzen bei Erwachsenen sind vielfältig und manchmal ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren.»
Mirjam Wenger leitet das im Dezember 2021 lancierte «Botschafterprojekt». Dieser neue Ansatz gründet auf zwei Ideen: Erstens sind die Betroffenen die Expertinnen und Experten, wenn es um fehlende Grundkompetenzen geht; sie kennen es aus eigener Erfahrung. Diese können, zweitens, andere Betroffene besser erreichen, wenn sie sich ‘heimisch’ fühlen bzw. dort abgeholt werden, wo sie sich sicher fühlen.
Und tatsächlich: Die Hemmschwelle, selbst einen Kurs in Grundkompetenzen oder eine Lernstube zu besuchen, sinkt, wenn aktuelle oder ehemalige Kursbesucher/innen dazu animieren. Sie realisieren, dass es anderen genau gleich geht – und dass Lernerfolge möglich sind.
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«Botschafter/innen als Betroffene sprechen aus eigener Erfahrung und in derselben Sprache wie andere Betroffene.»
Botschafter René in Aktion
Genau das macht René am Stand der Caritas auf dem Lindenplatz. Er selbst besucht seit Jahren Computerkurse in der Lernstube der Caritas. Er findet sie eine tolle Sache – denn so müsse er nicht immer seine Töchter fragen, wenn er Probleme mit dem PC hat. Weil er seine eigenen Erfahrungen weitergeben will, macht er am «Botschafterprojekt» mit. Er will anderen zeigen, dass sie das auch können.
René geht gerne auf Menschen zu. Er will ihnen zeigen, was sie in einer Lernstube in Sachen Computer, Tablet oder Smartphone lernen können. In seiner Funktion als Botschafter für Grundkompetenzen spricht er an einem Stand Personen direkt an. Oft wimmeln ihn diese zuerst ab oder sind skeptisch – «keine Zeit», «das kostet doch sicher viel» oder «ich bin zu alt, um den Computer zu verstehen» –, doch René erklärt es ihnen: Kurse sind kostenlos und man kann auch nur jede zweite Woche teilnehmen, wenn’s zeitlich nicht anders geht. Auf dem Lindenplatz konnte er einige Personen dazu animieren, einen Kurs zu besuchen. Renés Devise: Lernen kann man immer, es ist nie zu spät.
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«Meine Töchter drücken ein paar Tasten und fahren mit der Maus herum, schon ist alles erledigt. Wenn ich es dann selbst probieren will, weiss ich meist nicht mehr genau, wie es geht.»
Weitere Aktivitäten
Die Botschafter/innen sind nicht nur an Ständen aktiv, sie geben auch Medieninterviews oder wirken bei Videoclips mit. Sie informieren über die vielfältigen Angebote und die kostenlosen Kurse und machen Betroffenen Mut, den ersten Schritt zu wagen. Mit ihrem Engagement sensibilisieren sie gleichzeitig auch die breite Öffentlichkeit: Wenn Arbeitgeberinnen, Gemeindearbeiter oder auch Freunde und Familienangehörige die Thematik der mangelnden Grundkompetenzen kennen, hilft das, die Stigmatisierung zu überwinden. Wichtig bei allen Projekten: Die Botschafter/innen können selbst welche initiieren, die sie im Team miteinander besprechen. Sie sind auch in Kontakt mit Gruppen aus anderen Sprachregionen, für den Herbst ist ein schweizweites Treffen geplant.
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«Botschafter/innen müssen hinter einem Projekt stehen können; sie sollen sich wohlfühlen und sich dabei nicht ‘ausgestellt’ fühlen.»